Umdenken in der Gesundheitspolitik: Perspektiven und Forderungen

Bild: Jusos Schleswig-Flensburg

„Das deutsche Gesundheitswesen ist krank. Ich bin überzeugt, wir müssen das System insgesamt in Frage stellen. Die SPD sollte eine Grundsatzdiskussion über ihre Gesundheitspolitik führen. Was tun wir gegen die Notstände in der Pflege?“ – Stephan Weil, Ministerpräsident Niedersachsen, 2.10.2017, Hannoversche Allgemeine Zeitung.“

Die Jusos Schleswig-Flensburg werden sich künftig in der internen und öffentlichen Kreisverbandsarbeit mit dem Politikfeld Gesundheit, Pflege und Medizin auseinandersetzen. Darunter verstehen wir die Planung und Umsetzung folgender Aktionen:

  • Diskussionen auf Sitzungen zu Schwerpunktthemen

  • Anträge zu Juso/SPD Vorstandssitzungen, Parteitagen, Konferenzen und Ausschüssen

  • Veröffentlichung von Blogeinträgen, Medieninformationen oder Positionspapieren

 

„Der folgende Blogartikel wurde von Wiebke Mohr,  kooptiertes Kreisvorstandsmitglied für Gesundheitspolitik, verfasst Dieser  hat eine Leitfunktion für unsere künftige Arbeit zu diesem Politikfeld.“

 

Umdenken in der Gesundheitspolitik:
Perspektiven und Forderungen

 

Ebenso wie Gesundheitssysteme in anderen (vor allem industrialisierten) Ländern, steht das deutsche Gesundheitssystem vor der Herausforderung steigender Kosten der Gesundheitsversorgung und dem hiermit verbundenen Problem der Systemnachhaltigkeit (1). Dieses Phänomen lässt sich u.a. durch höhere Erwartungen an Gesundheit, demografische Veränderungen der Gesellschaft, Veränderungen der Lebensweisen und den Fortschritt im Bereich der Technologien und Interventionen erklären (2). Bereits im Jahre 2010 warnte PricewaterhouseCoopers in einem entsprechenden Bericht (3) vor den möglichen Konsequenzen mangelnder Systemnachhaltigkeit im Gesundheitswesen: So könnten im Jahre 2030 42% der Arztstellen unbesetzt sein und in Krankenhäusern ein Mangel an 400.000 Krankenschwestern, -pflegern und -pflegeassistenten herrschen. Zusätzlich würden im ambulanten Pflegebereich 66.000 Fachkräfte fehlen.

Diese Prognosen sollten Politiker sämtlicher Fraktionen alarmieren – bisher hat es jedoch keine deutsche Regierung (weder Landes- noch Bundesebene) vermocht langfristig wirkende Lösungsansätze vorzustellen, um das Problem der Systemnachhaltigkeit zu adressieren (4).

Das Problem der Systemnachhaltigkeit ist ein vielschichtiges Problem und stellt ein Risiko für die gesamte Volksgesundheit („Public Health“) dar. Laut der Definition der Weltgesundheitsorganisation ist Volksgesundheit oder zu Englisch „Public Health“ „die gemeinsame Vision, Gesundheit und Wohlbefinden auf nachhaltige Art und Weise zu fördern, anhand der Stärkung ganzheitlicher Gesundheitssysteme und dem Reduzieren von Ungleichheiten“ (5). Diese Vision lässt sich durch das sogenannte „Triple-Aim“ (= dreifach Ziel) ergänzen: „Das individuelle Erlebnis von Gesundheitsversorgung und -pflege verbessern; die generelle Gesundheit einer Gesellschaft verbessern; und die pro Kopf Unkosten für Gesellschaften reduzieren“ (6). Ferner sollte das sogenannte „fourth Aim“ (= vierte Ziel) – das Wohlbefinden der Fachkräfte im Gesundheitsbereich als Voraussetzung für das eben genannte Triple-Aim – nicht außer Acht gelassen werden (7).

Aufgrund der Größenordnung des Problems mangelnder Systemnachhaltigkeit im deutschen Gesundheitssystem lässt sich dies nicht durch schnelle kurzfristige Veränderungen lösen. Die Etablierung eines umstrukturierten und nachhaltigen Gesundheitssystems, welches den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist, wird Jahre in Anspruch nehmen.

Nichtsdestotrotz haben Wissenschaftler der Leuphana Universität Lüneburg, der Ruhr-Universität Bochum und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen die dringlichsten aber gleichzeitig handhabbarsten Änderungsvorschläge im deutschen Gesundheitssystem für die kommenden Jahre vorgeschlagen (1):

 

  1. Innovationen im administrativen Bereich

    Bezüglich der Innovationen im administrativen Bereich lässt sich vor allem ein seit langer Zeit gefordertes elektronisches Patientenaktensystem, welches das Teilen von und den Zugang zu Patientendaten landesweit ermöglicht, hervorheben (8). Ein solches System gibt es seit vielen Jahren in unserem Nachbarland Dänemark und hat sich dort mit großem Nutzen für sowohl Patienten als auch Gesundheitspersonal bewährt.

  2. Eine ganzheitliche Krankenhausplanung

    Bezüglich der ganzheitlichen Krankenhausplanung wird eine überregionale Planung des Krankenhaussektors empfohlen (1). Dänemark hat vor einigen Jahren eine bundesweite Krankenhausstrukturreform eingeleitet (9); dieses Vorhaben könnte zumindest auf Landesebene als Beispiel für eine überregionale Krankenhausplanung genutzt werden.

  3. Vermehrte bereits im frühen Kindesalter ansetzende als auch arbeitsplatzbasierte Präventionsbemühungen

    Darüber hinaus wird von oben genannten Wissenschaftlern dringlich darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland vermehrt in Gesundheitsprävention investiert werden sollte. Entsprechende Projekte sollten zum einen bereits im frühen Kindesalter in Bildungsinstitutionen wie Kindergärten und Schulen und zum anderen vermehrt in Verbindung mit Arbeitsplätzen eingeführt werden.

  4. Vermehrte analytische Qualitätskontrollen von Gesundheitsservices.

    Schließlich fordern die Wissenschaftler den Gesetzgeber auf endlich einen gesetzgeberischen Kompromiss zu schaffen, welcher das Nutzen von anonymisierten Personendaten bezüglich analytischer Qualitätskontrollen erlaubt (1).

 

Abschließend fordern wir einen Kodex für gute Arbeit in den Pflegeberufen, um der durch Weil angeregten Grundsatzdiskussion ein Stück weit gerecht zu werden. Die Politik muss so zügig wie möglich für faire Löhne im Pflegebereich sorgen, diegezielte Zuwanderung von Fachkräften ermöglichen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorantreiben um dem oben beschriebenen massiven Fachkräftemangel vorzubeugen (3).

 

Quellen 

 

(1)       Pelster M, Hagemann V, Uribe FL. Key Aspects of a Sustainable Health Insurance System in Germany. Applied health economics and health policy. 2016;14(3):293-312.

(2)       Fatoye F. Understanding of health economics among healthcare professionals. Journal of Clinical Nursing. 2013;22(21-22):2979-80.

(3)       Ostwald DA, Ehrhard T, Bruntsch F, Schmidt H, Friedl C. Fachkräftemangel – Stationärer und ambulanter Bereich bis zum Jahr 2030 [Internet]. PricewaterhouseCoopers AG; 2010 [cited 2017 September 28]. Available from: http://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/assets/fachkraeftemangel.pdf

(4)       Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Sozialversicherungen: Zur Kasse, bitte! [Internet]. Cologne: Institut der deutschen Wirtschaft Köln; 2017 [cited 2017 September 28]. Available from: https://www.iwd.de/artikel/sozialversicherungen-zur-kasse-bitte-359186/

(5)       World Health Organization. Public health services [Internet]. Copenhagen: World Health Organization Regional Office for Europe; 2017 [cited 2017 September 28]. Available from: http://www.euro.who.int/en/health-topics/Health-systems/public-health-services/public-health-services

(6)       Berwick DM, Nolan TW, Whittington J. The Triple Aim: Care, Health, and Cost. Health Affairs. 2008;27(3):759-69.

(7)       Bodenheimer T, Sinsky C. From triple to quadruple aim: care of the patient requires care of the provider. The Annals of Family Medicine. 2014;12(6):573-6.

(8)       Bertelsmann Stiftung. Elektronische Patientenakten: Einführung braucht klaren Fahrplan [Internet]. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung; 2017 [cited 2017 September 28]. Available from: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/der-digitale-patient/projektnachrichten/elektronische-patientenakte-einfuehrung-braucht-klaren-fahrplan/

(9)      Danske Regioner. Byggeprojekterne [Internet]. DK: Danske Regioner; 2012 [cited 2017 September 28]. Available from: http://www.godtsygehusbyggeri.dk/Byggeprojekterne.aspx